Sind gestaltpädagogisch arbeitende Lehrerinnen und Lehrer gesünder?

Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zur Salutogenese im Lehrerberuf von Heinrich Dauber und Elke Döring Seipel (Universität Kassel)

Pathogene versus salutogene Forschungskonzepte

Lange Zeit war die Forschung eher daran interessiert, herauszufinden, was Lehrer krank macht als was sie gesund erhält. In einer eigenen Untersuchung (Dauber & Vollstädt 2002) wurden im August 2002 vom Zentrum für Lehrerbildung der Universität Kassel fast 3000 Lehrerinnen und Lehrer aller Schulstufen und –arten befragt, die zwischen 1996 und 2002 im Regierungsbezirk Kassel aus Krankheitsgründen frühpensioniert worden waren. Dabei wurden mit einem anonymisierten Fragebogen einerseits die von den frühpensionierten Lehrkräfte subjektiv empfundenen Belastungsfaktoren während ihrer aktiven Dienstzeit (45 Items) und andererseits die Formen der Verarbeitung dieser Belastungen (11 Items) – aus ihrer retrospek-tiven Sichtweise – erfasst. (Interessanterweise ‚outeten’ sich mehr als zwei Dutzend Kolle-gInnen in persönlichen Briefen, deren Tenor durchgängig lautete: ‚Endlich interessiert sich einmal jemand für uns und fragt nach, weshalb wir den Dienst quittiert haben.’

Ich fasse einige der wichtigsten Ergebnisse kurz zusammen:

Krankheitsbilder:

  1. Männer litten eher unter somatischen Erkrankungen, Frauen unter psychischen Stö-rungen. Häufigkeit und Schwere der Erkrankungen hingen nicht mit dem (Dienst-) Alter zusammen.
  2. In der Regel waren es mehrere Erkrankungen, die zur Dienstunfähigkeit führten.
  3. Psychische und psychosomatische Erkrankungen korrelierten nicht mit einzelnen, sondern jeweils mit einem ganzen Bündel von Belastungsfaktoren. Für andere, soma-tische Krankheitsbilder ließen sich keine Korrelationen mit bestimmten Belastungen feststellen.

Als Hauptbelastungsfaktoren wurden vor allem genannt: die Fülle der Anforderungen, insbesondere Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten bei Schülern; immer mehr Erzie-hungsaufgaben; zu viele Schüler(innen) in einer Klasse; undisziplinierte Schüler; große Leistungsunterschiede zwischen den Kindern und Jugendlichen; sinkende Lernmotivation bei Schülerinnen und Schülern…; zu wenig wirksame Sanktionsmöglichkeiten; hoher Ver-waltungsaufwand (Zunahme der administrativen Pflichten; generell zu viele Vorschriften und Vorgaben… hohe Pflichtstundenzahl/zu hohe wöchentliche Arbeitszeit.)

Festzuhalten ist: Krankheitshalber frühpensionierte Kolleginnen und Kollegen erleben of-fenbar vor allem zwei Bereiche ihres beruflichen Handlungsraums als belastend, problema-tisch und krankmachend. Da sind zum einen die strukturellen beruflichen Rahmenbedingungen wie Stundenzahl, Arbeitszeit, Verwaltungsaufwand und Klassengröße und zum anderen das weite Feld der Interaktionsbeziehungen mit den damit verbundenen Konflikten und Problemen in der Beziehungsgestaltung.

Fragt man danach, welche Formen des Umgangs mit beruflichen Belastungen die befragten Lehrkräfte entwickelt haben, so lassen sich drei Dimensionen identifizieren:

Faktor 1 umfasst die Variablen Lebenszufriedenheit, Erfolgserleben im Beruf, Erleben sozialer Unterstützung, innere Ruhe und Ausgeglichenheit, offensiver Umgang mit Problemen und beschreibt einen aktiven Umgang mit Problemen auf dem Hintergrund einer guten sozi-alen Einbindung und hohen emotionalen Stabilität.

Faktor 2 ist vor allem charakterisiert durch hohes Engagement und hohe Leistungsansprüche und umfasst die Variablen Verausgabungsbereitschaft, Perfektionsstreben, Bedeutsamkeit der Arbeit, beruflicher Ehrgeiz.

Faktor 3 bildet gewissermaßen den Gegensatz zur ersten Dimension und beschreibt eine passive, resignative Haltung verbunden mit einer geringen emotionalen Stabilität.

In der rückblickenden Selbsteinschätzung zeigten sich diejenigen Kolleginnen und Kollegen als weniger belastet, die mit ihrer Lebens- und Berufssituation zufrieden waren, soziale Un-terstützung erlebten, ihre Arbeit als bedeutsam und sich selbst als wirksam erlebten und mit Problemen offensiv umgingen. Offen blieb bei dieser Untersuchung, was die Frühpensio-nierten von den KollegInnen unterschied, die länger gesund im Schuldienst blieben. Unbe-friedigend war diese erste Untersuchung auch insofern, als sie keine differenzierten Er-kenntnisse erbrachte, wie berufliche Belastungen bewertet werden, wie sich daraus Gefühle von Überforderung ergeben und wie sich dies alles schließlich auf die tatsächliche Gesund-heit von Lehrerinnen und Lehrern auswirkt.

Was hält Lehrer und Lehrerinnen gesund?

Aus diesen Fragen entstand das Design für eine von Prof. Dr. Heinrich Dauber (Institut für Erziehungswissenschaft) und Dr. Elke Döring-Seipel (Institut für Psychologie) in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit der DEBEKA durchgeführten Untersuchung: Salutogenese in Lehrberuf und Schule (SALUS). Dabei gingen wir von folgender Überlegung aus: Die meisten vorliegenden Untersuchungen zur beruflichen Belastung von Lehrerinnen und Lehrern konzentrieren sich entweder eher auf ‚äußere’ Faktoren im Arbeitsfeld (Ausstattung der Schulen, Klassenstärke, Fächer etc.) oder auf eher ‚innere’ Faktoren (Persönlichkeitsvariablen, Arbeitsstile, Coping-Strate-gien etc.) und erfassen damit jeweils nur Teilbereiche eines äußerst komplexen Zusammenhangs, in dem sich die verschiedenen Bereiche und Faktoren gegenseitig verstärken oder teilweise auf-heben.Neben der Konzentration auf ein eingeschränktes Spektrum von Verursachungsfaktoren ori-entieren sich die meisten Untersuchungen zur Stressbelastung und daraus resultierendem Burn-out bei Lehrerinnen und Lehrern an pathogenetischen Konzepten, die primär auf die Aufklärung von Verursachungsfaktoren für Krankheit fokussiert sind. Im Hinblick auf die Entwicklung von effizienten zielgruppenspezifischen Präventions- und Interventionskonzep-ten greift diese Sichtweise jedoch zu kurz und müsste daher ergänzt werden um Analysen, die aus salutogenetischer Perspektive Informationen bereit stellen zu gesunderhaltenden Pro-tektivfaktoren, die Lehrer und Lehrerinnen für die Auseinandersetzung mit belastenden Situ-ationen stärken und vor negativen gesundheitlichen Auswirkungen schützen. Als theoreti-sches Modell gingen wir von einem transaktionalen Anforderungs-Ressourcen Modell aus, das Gesundheit als Ergebnis des Zusammenwirkens von Situations- und Personfaktoren be-greift. Transaktionale Modelle wurden zunächst im Rahmen der Stressforschung entwickelt (vgl. Lazarus & Folkman, 1984) und haben inzwischen Eingang in alle Bereiche der Gesund-heitspsychologie gefunden.

Die Grundannahmen lassen sich kurz folgendermaßen umreißen:

  • Stress und Belastung sind keine direkte Folge von Situationsanforderungen, sondern das Ergebnis eines subjektiven Bewertungs- und Verarbeitungsprozesses,
  • ausschlaggebend für die Entstehung von Stress ist nicht allein die Auslösesituation, sondern die Relation von Situationsanforderungen und verfügbaren Bewältigungsressourcen, 
  • Kompetenzen und Ressourcen bestimmen den weiteren Verlauf des Bewältigungsprozesses,
  • die Art der Bewältigung beeinflusst wiederum die gesundheitlichen Auswirkungen von stressreichen Erfahrungen.

Subjektive Bewertungsprozess, die wiederum abhängig sind von eigenen Erfahrungen, An-sprüchen und Motiven, individuelle Kompetenzen, persönliche und soziale Ressourcen, sowie Bewältigungsstile spielen also im Prozess der Auseinandersetzung mit beanspru-chenden Lebenssituationen eine zentrale Rolle und entscheiden letztlich darüber, ob Perso-nen vergleichbare Anforderungen ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen überstehen oder nicht. Von diesem Grundmodell haben wir uns leiten lassen und eine Fragebogenuntersuchung konzipiert, die nicht nur die objektive Anforderungssituation, sondern sehr differenziert Bewertungs- und Verarbeitungsformen, Ressourcen, Kompetenzen und Bewältigungsstra-tegien erfasste. Zusätzlich wurden verschiedene Aspekte der psychischen und physischen Gesundheitssituation erhoben, wobei wir von einem umfassenden Verständnis von Gesundheit ausgingen, das nicht nur negativ über die Abwesenheit von körperlichen Erkran-kungen und psychischen Beschwerden (z. B. Burnoutsymptome), sondern ebenfalls positiv über Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit und Arbeitsfähigkeit definiert ist. Der Fragebogen wurde im Januar 2008 mit Unterstützung der DEBEKA an zwei nach dem Zufallsprinzip ausgesuchten Gruppen von 50-60-jährigen Lehrerinnen und Lehrern aus dem ganzen Bundesgebiet verschickt. Die eine Gruppe bezog sich auf Lehrerinnen und Lehrer, die im Jahr 2006 hohe Krankheitskosten (oberstes Quartil), die andere auf diejenigen, die die geringsten Krankheitskosten (unterstes Quartil) verursacht hatten. In jeder Gruppe wurden 1.500 bei der DEBEKA versicherte Lehrkräfte angeschrieben. Dazu kam eine dritte Gruppe von 170 Kolleginnen und Kollegen, die Mitglieder der GPV (Gestaltpädagogischen Vereinigung) sind.1096 Personen, d. h. ca. 1/3 der Angeschriebenen beantworteten den Fragebogen (688 Frauen, 408 Männer; 628 aus der Gruppe hohe Kosten, 404 aus der Gruppe niedrige Kos-ten, leider nur 64 aus der Gruppe der Gestaltpädagogen).

Was zeichnet die Mitglieder der GPV aus?

74% der Gestaltpädagogen, die an der Untersuchung teilnahmen, waren Frauen, 26% Män-ner. Das Durchschnittsalter liegt bei 55 Jahren. 86% leben in einer Partnerschaft. Im Ver-gleich mit den beiden Gruppen der Debeka-Versicherten arbeiten Gestaltpädagogen über-durchschnittlich häufig in Gesamtschulen, unterdurchschnittlich in Grund- und Hauptschu-len. In der Gruppe der GP wurden 36% in den letzten Jahren in einem neuen Fach einge-setzt, davon 50% auf eigenen Wunsch.Die Gestaltpädagogen würden eher als die anderen beiden Gruppen einen Tätigkeitswechsel in Betracht ziehen, dieser ist jedoch nicht als völliger Ausstieg aus der Lehrertätigkeit, son-dern eher als Ergänzung gedacht. (Von den insgesamt 47,4 %, die sich einen Tätigkeits-wechsel in dieser Gruppe vorstellen können, wollen 40,1 % mit einem Teil ihrer Arbeitszeit in ein anderes Tätigkeitsfeld wechseln, nur 7,3 % mit der vollen Arbeitszeit.)Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit beträgt bei allen Gruppen 44,5 Stunden.Über 50% der GP nahmen an mehr als 3 Fortbildungen pro Jahr, 60% an Supervision, davon 36% mehr als 6 mal an Supervision teil. Damit sind GP deutlich weiterbildungs- und supervisionsfreudiger als die anderen beiden Gruppen.Worin unterscheiden sich Mitglieder der GPV von ‚gesunden‘ und von ‚kranken‘ Lehrern?In der globalen subjektiven Gesundheitseinschätzung stimmen die Daten für die Gruppe der GP weitgehend mit denen der Gruppe G1 (‚gesund‘) überein: 28,1 % berichten über körper-liche 36,1 % über psychische Beschwerden, 63,5 % fühlen sich gesund, die Werte der Ge-staltpädagogen entsprechen damit denen der Gruppe mit geringen Krankheitskosten. Im Blick auf persönliche Ressourcen (Achtsamkeit, Selbstwirksamkeit, Lehrerselbstwirk-samkeit, Resilienz, emotionale Stabilität, Kohärenzsinn und Distanzierungsfähigkeit unter-scheiden sich GP deutlich von ‚kranken‘, wenig von anderen ‚gesunden‘ Lehrern, allerdings haben sie signifikant höhere Werte im Blick auf Ungewissheitstoleranz als die beiden anderen Gruppen. (Dies kommt etwa in der Zustimmung zu einem Statement zum Aus-druck wie: „Im Unterricht zu improvisieren macht mir Spaß.“)Betrachtet man die einzelnen beruflichen Belastungen so stehen schwierige Schüler an der Spitze der Belastungshierarchie, gefolgt von Korrekturen, Stundenzahl und Interaktionen mit Eltern. Diese Reihenfolge gilt für die Gruppe der tendenziell ‚Kranken‘, die auch stär-ker unter dem Gefühl leiden, in ihrer Arbeit ständig kontrolliert und überwacht zu werden und zu eher passiven Bewältigungsstrategien neigen. Bei der Gruppe der ‚Gesunden‘ tau-chen die schwierigen Schüler an zweiter und bei den Gestaltpädagogen erst an dritter Stelle auf, die Interaktionen mit Eltern rutschen auf die 5. Stelle. Offenbar verfügen GP über an-dere Ressourcen und Strategien in der Gestaltung von Beziehungssituationen.

Unterscheiden sich Gestaltpädagogen in ihrem Unterrichtsstil?

Ein mit insgesamt 38 Items relativ umfangreicher Teil der Befragung bezog sich auf For-men der Unterrichtsgestaltung und des pädagogischen Handelns der befragten Lehrer. Eine Faktorenanalyse dieser Items ergab 6 unterscheidbare Dimensionen des Unterrichtshan-delns, die sich wie folgt charakterisieren lassen:

Schülerorientierung (1)

  1. Soziales Lernen ist mir genauso wichtig wie Wissensvermittlung.
  2. Ich interessiere mich für die persönliche/ häusliche Situation meiner Schüler.
  3. Ich versuche, mir immer wieder Zeit zu nehmen, um mit Schülern auch persönliche Gespräche zu führen.

Bevorzugung selbständiger Arbeitsformen (2)

  1. Ich bin daran interessiert, dass die Schüler den Unterricht weitgehend selbständig gestalten.
  2. Ich bevorzuge indirekte, nicht vollständig vom Lehrer kontrollierte Unterrichtsmethoden wie selbstän-dige Einzelarbeit, Partner- und Gruppenarbeit, Projekt- und Stationenarbeit etc.).

Emotional - motivationaler, erlebnisorientierter Lernzugang (3)

  1. Ich versuche, den Unterricht so zu gestalten, dass der Funke im Unterricht überspringt und die Schüler interessiert/begeistert mitmachen
  2. Die Schüler zum Staunen zu bringen, ist mir wichtiger als von ihnen richtige Antworten zu hören.

Betonung von Wissens/ Stoffvermittlung (4)

  1. Im Unterricht geht es darum, systematisch Wissen zu vermitteln.
  2. In meinem Unterricht konzentriere ich mich auf den Stoff.

Flexibilität (5)

  1. Ich weiche von meinem vorbereiteten Unterrichtskonzept ab, wenn die Situation es erfordert.
  2. In meinem Unterricht gehe ich auf Vorschläge und Anregungen der Schüler ein.

Dazu kommt ein weiterer Faktor:

Rigidität/Störanfälligkeit (6)

  1. Unterrichtsstörungen bringen mich leicht aus dem Konzept.

Unterrichtstile

Mit Hilfe einer Clusteranalyse lassen sich 5 verschiedene Unterrichtsstile identifizieren, die sich durch unterschiedliche Kombinationen dieser 6 Dimensionen des Unterrichtshandelns auszeichnen.

  • Stil 1: Flexibles Unterrichtshandeln mit Bevorzugung von selbständigen Arbeitsformen.
  • Stil 2: Ausschließliche Betonung von Wissens/Stoffvermittlung.
  • Stil 3: Vielseitiges Unterrichtshandeln mit besonderer Betonung von selbständigen Ar-beitsformen, Schülerorientierung und emotional-motivationalem Lernzugang.
  • Stil 4: Eingeschränktes Repertoire an pädagogischen Handlungsmöglichkeiten. Alle Dimensionen des Unterrichtshandelns sind unterdurchschnittlich ausgeprägt bei leicht erhöhter Störbarkeit.
  • Stil 5: Störbares Unterrichtshandeln. Auffällig ist bei diesem Stil vor allem die extrem erhöhte Irritierbarkeit bzw. Störanfälligkeit.

Im Hinblick auf körperliche Erkrankungen gibt es keine signifikanten Unterschiede zwi-schen den verschiedenen Unterrichtsstilen. Die Unterschiede in Bezug auf psychische Krankheiten und die globale subjektive Gesundheitseinschätzung sind hingegen signifikant. Personen mit dem Stil1 (flexibles Unterrichtshandeln) und Personen mit dem Stil 3 (vielsei-tiges Unterrichtshandeln) beschreiben sich gegenüber Personen mit Stil 2 (ausschließliche Betonung von Wissens-/Stoffvermittlung ) und Stil 5 (Störbares Unterrichtshandeln) als deutlich gesünder. Noch ausgeprägter sind die Unterschiede im Hinblick auf die psychische Gesundheit. Personen mit Stil 3 und Personen mit Stil 1 sind psychisch gesünder als Perso-nen mit  Stil 4 (eingeschränktes pädagogisches Repertoire) und diese sind wiederum gesün-der als Personen mit Stil 2 oder 5.

Personen mit einem vielseitigen Unterrichtsstil, der besonderen Wert auf soziale und emo-tionale Aspekte sowie selbständiges Lernen legt, verfügen über ein besonders breites und gut ausgeprägtes Spektrum an persönlichen Ressourcen, während Personen mit Stil 2 durch besonders geringe Ausprägungen in allen Ressourcenbereichen – besonders in Bezug auf lehrerspezifische Selbstwirksamkeitserwartungen und Ungewissheitstoleranz auffallen. Of-fenbar scheint ein Unterrichtshandeln, das auf selbständige Arbeitsformen, Gruppen- und Partnerarbeit setzt, ein gewisses Maß an Ungewissheitstoleranz vorauszusetzen. Eine sehr geringe Unsicherheitstoleranz legt umgekehrt offenbar lehrerzentrierte Formen des Unter-richtens mit starker Betonung der Wissensvermittlung nahe, die besser planbar und kontrol-lierbar sind. Beim Stil 5 fällt besonders die im Vergleich zu allen anderen Gruppen geringe emotionale Stabilität und Distanzierungsfähigkeit auf. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass persönliche Ressourcen offenbar für das Unterrichtshandeln eine sehr große Rolle spielen. Zu einer einseitigen und überstarken Betonung von Wissens- und Stoffvermittlung scheinen Lehrer vor allem dann zu neigen, wenn ihre nur sehr gering ausgeprägte Unge-wissheitstoleranz Unterrichtsformen, die weniger lehrerzentriert, kontrollierbar und planbar sind, nicht zulässt.

Auf Grund der geringen Fallzahlen lässt sich hier kein direkter Zusammenhang zwischen Unterrichtsstil, psychischer Gesundheit und der Mitgliedschaft in der GPV ableiten. Da die GP jedoch im Blick auf subjektive Gesundheitseinschätzung insgesamt noch besser ab-schneiden als die beiden anderen Gruppen und Faktoren wie Achtsamkeit (Zugang zu eige-nem und fremdem inneren Erleben), Lehrerselbstwirksamkeit, emotionale Stabilität, innere Distanzierungsfähigkeit, sowie insbesondere hohe Ungewissheitstolerenz bei ihnen beson-ders ausgeprägt sind, lässt sich doch zumindest ein indirekter Zusammenhang vermuten. Ob dieser eher auf persönlichkeitsspezifische Faktoren oder auf die gestaltpädagogische Aus-bildung zurückzuführen ist, kann nur durch entsprechende Längsschnittstudien geklärt wer-den.
Interessanter erscheint in diesem Zusammenhang die Frage, welche Rolle den oben genann-ten Faktoren in der gestaltpädagogischen Fort- und Weiterbildung spielen.

Zusammenfassung

Sowohl im Blick auf den wissenschaftlichen Paradigmenwechsel vom pathogenetischen Ansatz (‚Was macht Lehrer krank?‘) zum salutogenetischen Ansatz (‚Was hält Lehrer ge-sund‘)  wie im Blick auf Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern scheint der Förderung psychosozialer Kompetenzen i.w.S. (und der ihnen zugrundeliegenden persönli-cher Ressourcen) für die Gestaltung professioneller pädagogischer Beziehungen eine zent-rale Bedeutung zuzukommen. Dieser eher personorientierte Ansatz, der auch im Mittelpunkt der humanistischen und reformpädagogischen Tradition der Gestaltpädagogik steht, muss allerdings systematisch ergänzt werden durch den Aufbau lokaler, direkt an der Schule angesiedelter Unterstützungsstrukturen wie kollegialer Beratung, Inter- und Supervision, Team-teaching und veränderter Unterrichtsformen. Gestaltpädagogisch ausgebildete und in diesem Sinn arbeitende Lehrerinnen und Lehrer scheinen sich auf einem guten Weg zu be-finden, lange, gesund und beruflich erfolgreich zu arbeiten.